Die Gründung der Israelitischen Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin im Juni 1869 war die jüdische Antwort auf den im 19. Jahrhundert herrschenden Druck zu gesellschaftlicher und weltanschaulicher Assimilation. Doch nicht emanzipationsfeindliche Abkapselung war das Ziel der jungen Gemeinde, sondern die Vereinigung von gesetzestreuem Leben mit der Offenheit für Kultur, Bildung und Kunst der Umwelt – Emanzipation und aktive Teilnahme an der Gesellschaft sollten unter Wahrung der jüdischen Tradition verwirklicht werden.
Mit der Eröffnung von Religionsschulen, Synagogen und rituellen Einrichtungen entfaltete die Adass Jisroel ein eigenständiges Gemeindeleben. Als erster Rabbiner wurde der in Halberstadt geborene, im ungarisch-österreichischen Eisenstadt wirkende, Rabbiner Dr. Esriel Hildesheimer berufen, der 1873 das Rabbiner-Seminar zu Berlin gründete. 1880 weihte die Adass Jisroel in Berlin-Weissensee an der Falkenberger Chaussee, heute Wittlicher Strasse, ihren eigenen Gemeindefriedhof. Nachdem sich anfänglich Gemeindehaus und Synagoge in der Gipsstraße befunden hatten, wurden sie 1904 in die Artilleriestraße 31 (heute Tucholskystraße 40) verlegt, wo sie sich noch heute befinden. Mit dem Anwachsen der Gemeinde wurden 1924 neben Religionsschulen ein zweites Gemeindezentrum in Siegmundshof 11 in Berlin-Tiergarten mit Synagoge, Realgymnasium und Oberlyzeum – dem ersten und bis in jüngster Zeit einzigen jüdischen Gymnasium Berlins – eingerichtet. Ein eigenes Krankenhaus, das Israelitische Krankenheim der Adass Jisroel, wurde 1909 eröffnet, mehrere Synagogen wurden in Mitte, Prenzlauer Berg, Tiergarten und Charlottenburg unterhalten bzw. unterstützt. Mittlerweile war in Deutschland das mit der Gemeinde verbundene Rabbiner-Seminar zur bedeutendsten Ausbildungsstätte gesetzestreuer Rabbiner mit internationaler Ausstrahlung avanciert. Anfang der dreißiger Jahre des XX. Jahrhunderts war ein Sechstel der Berliner Juden mit der Adass Jisroel organisatorisch verbunden, sei es als Mitglieder, sei es als Anhänger, die die Dienstleistungen der Gemeinde in Anspruch nahmen und am Gemeindegeschehen teilnahmen.
Der Adass Jisroel erging es wie allen anderen jüdischen Gemeinden in Deutschland. Nach zahllosen vorangegangenen Akten der Verfolgung und Entrechtung ordnete die Gestapo im Dezember 1939 die Zerschlagung der Adass Jisroel und ihre Eingliederung in die von den Nazis gegründete “Reichsvereinigung der Juden in Deutschland” an. Damit war die Adass Jisroel aller ihrer Rechte und ihrer historischen Gemeindestätten beraubt.
Nach dem Genozid an den europäischen Juden hatten die überlebenden, emigrierten Adassianer weder die Chance noch die Kraft, sich in Berlin unmittelbar wieder als Gemeinde zu rekonstituieren. Im Westen Berlins waren das Schulgebäude und die Synagoge in Siegmundshof von Unbefugten an Dritte veräußert und 1955 geschleift worden. Im Osten der Stadt erging es der schönen, großen Synagoge der Gemeinde 1967 genauso. 1985 begangen in beiden Teilen des damals noch geteilten Berlins die Bemühungen um den Wiederaufbau der Gemeinde; seit dem Sommer dieses Jahres hat die Adass Jisroel unter erschwerten Bedingungen, mit einiger staatlicher Förderung und hauptsächlich mit der tatkräftigen Hilfe von Freiwilligen aus Ost und West, ihren verwüsteten und verwilderten Friedhof in Weissensee restauriert.
Die erste DDR-Regierung nach der Wende verfügte am 18. Dezember 1989, dem 50. Jahrestag der NS-Auflösungsverfügung mit der die Gemeinde juristisch zerschlagen worden war, die Wiedereinsetzung der Israelitischen Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin in ihre in der NS-Zeit entzogenen Rechten. Der Wiederaufbau der Gemeinde konnte beginnen. Zu Purim 1990 (5750) wurde im angestammten Gemeindehaus eine neue Synagoge wiedereingeweiht, Torahrollen kamen aus Israel, im Juli 1991 wurde im Gemeindehaus das koschere Restaurant “Beth Café” und um die Ecke, in der Auguststraße, im April 1992, der Laden für koschere Lebensmittel und jüdische Ritualien “Kolbo” eröffnet. Die Wiederherstellung der historischen Synagoge sowie die Restaurierung der zerstörten Mikwe sind geplant.
Neben den regelmäßigen G’ttesdiensten gibt es in der Gemeinde Hebräischunterricht, Religionskurse für Kinder und Erwachsene, Vorträge und Lesungen zur jüdischen Tradition und Kultur in Geschichte und Gegenwart; Bibliothek, Archiv und Dokumentation runden dieses Angebot ab. Der Kinderklub (“Mo’adonit”) im Gemeindehaus ist zu einem Magnet für große und kleine Kinder geworden. In der Sozialarbeit widmet sich die Adass Jisroel der Integration der Zuwanderer aus der früheren Sowjetunion, der Altenfürsorge, der Krankenseelsorge und der Betreuung jüdischer Gefangener in Berliner Haftanstalten. Die Gemeinde ist tätig auf dem Gebiet der jüdischen Erziehung und der Wohlfahrt. Oberstes Ziel der Adass Jisroel ist die Tradierung des gesetzestreuen Judentums, die Stärkung jüdischen Lebens in Berlin, die Pflege der Bande zu Israel.
Im Oktober 1997 war der ursprüngliche juristische Status der Adass Jisroel als vorkonstitutionell anerkannte altkorporierte Religionskörperschaft – Körperschaft des öffentlichen Rechts – höchstrichterlich bestätigt worden. Damit ist die Israelitische Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin heute die einzige jüdische Religionsgemeinde in Deutschland, die ihren ursprünglichen Rechtstitel mit seiner juristischen Identität und Kontinuität zwischen der heutigen und der Gemeinde von 1869 innehat.
Der langjährige Vorsitzende der Gemeinde, Ari Abraham Offenberg s.A., der die Adass Jisroel von 1985 bis 2007 mit zielbewusster Entschlossenheit und unverkennbarer Prägung führte, hinterließ nach 22 Jahren Amtsführung eine schöne Gemeinde. Seine Wirkung als Lotse und Vorbild in schwieriger Zeit, sein unermüdlicher Einsatz als unersetzliche Brücke zwischen der Gemeinde in der Vorkriegszeit und der Gemeinde in unseren Tagen, seine Ausstrahlung als authentische Personifizierung des echten Berliner Adassianers bleiben unvergessen und auf ewig anerkannt.
הח׳ ר׳ ארי אברהם בן הח׳ ר׳ חיים שלמה אופנברג זצ״ל
נשיא
ק״ק עדת ישראל ברלין
משנת תשמ״ה ועד שנת תשס״ז
בשם טוב ובשיבה טובה
עלה למרומים ביום שבת ק׳ פר׳ תרומה ~ ו׳ אדר תשס״ז לפ״ק
נטמן ביום ג׳ ט׳ אדר תשס״ז לפ״ק
Ari Abraham Offenberg s.A.,
Vorsitzender
der Israelitischen Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin
von 1985 bis 2007
Abberufen am 24. Februar 2007 / 6. Adar 5767 /
Schabbat Kodesch Par. Teruma
bestattet am 27. Februar 2007 / 9. Adar 5767.