Wenn Heiliges auf Zynisches trifft

Schabbat Kodesch Paraschat Chayei Sara

Elieser kommt nach Haran, um einen geeigneten Schidduch (eine Heiratsvermittlung) für Jizchak zu finden. Seine Mission scheint (buchstäblich) auf wundersame Weise gut zu verlaufen, wie wir in der Parscha dieser Woche lesen. Es läuft genauso, wie er es sich gewünscht hat. Er betete, dass das richtige Mädchen auftaucht und ihm und seinen Kamelen zu trinken anbietet. Noch bevor er sein Gebet zu Ende gesprochen hat, kommt Rebekka und bietet ihm genau das an.

Es ist sehr berührend zu lesen, wie er dem vorgeschlagenen Mechutan, d.h. dem Schwiegervater, Bethuel, die lange Geschichte von Jizchaks Geburt erzählt, spät im Leben seiner Eltern, sowie das jüngste Wunder der Begegnung mit Rebekka an der Quelle gemäß seinem Gebet. Abschließend bittet er sie um die Erlaubnis, das Schidduch zu vollziehen. Deren Antwort  fällt sehr kurz aus:

הִנֵּֽה-רִבְקָ֥ה לְפָנֶ֖יךָ קַ֣ח וָלֵ֑ךְ וּתְהִ֤י אִשָּׁה֙ לְבֶן-אֲדֹנֶ֔יךָ כַּאֲשֶׁ֖ר דִּבֶּ֥ר יְהוָֽה׃

„Hier ist Rebekka vor dir; nimm sie und geh hin, und lass sie dem Sohn deines Herrn eine Frau sein, wie der Herr geredet hat.“

Liege ich falsch, wenn ich in dieser Formulierung mehr als nur ein bisschen Sarkasmus entdecke?

„Hier ist Rebekka, vor dir, nimmt sie und geh“?

Der weitere Verlauf des Gesprächs scheint dies zu bestätigen. 

וַיֹּאכְל֣וּ וַיִּשְׁתּ֗וּ ה֛וּא וְהָאֲנָשִׁ֥ים אֲשֶׁר-עִמּ֖וֹ וַיָּלִ֑ינוּ וַיָּק֣וּמוּ בַבֹּ֔קֶר וַיֹּ֖אמֶר שַׁלְּחֻ֥נִי לַֽאדֹנִֽי׃

„Dann aßen und tranken er und die Männer, die bei ihm waren, und sie verbrachten die Nacht. Als sie am nächsten Morgen aufstanden, sagte er (Elieser): „Lasst mich (uns) zu meinem Herrn gehen.“

Nun werden sie ernst und sagen:

וַיֹּ֤אמֶר אָחִ֙יהָ֙ וְאִמָּ֔הּ תֵּשֵׁ֨ב הַנַּעֲרָ֥ אִתָּ֛נוּ יָמִ֖ים א֣וֹ עָשׂ֑וֹר אַחַ֖ר תֵּלֵֽךְ׃

„Aber ihr Bruder und ihre Mutter sagten: „Lass das Mädchen einige Tage bei uns bleiben (nach Raschi: ein Jahr), dann kannst du gehen.“

Hatten sie nicht erst in der Nacht zuvor gesagt: „Nimm sie und geh“?

Es war der „Kulturkampf“ zwischen dem zutiefst religiösen und frommen Elieser, der nachts gern seine Geschichte erzählte und erwartete, dass sie ebenso beeindruckt sein würden von der außergewöhnlichen Art und Weise, wie sich die Dinge entwickelt haben, dies auf der einen Seite.

Andererseits interessierten sich Bethuel und Laban (Sohn von Bethuel, Bruder von Rebekka und Vater von Lea und Rahel) überhaupt nicht für die Wunder ihrer Gäste. Sie sagten ihm am Abend zuvor zynisch:

 „Wenn das so ist, dann nimm sie und geh“.

Sie erwarteten, dass er ihre Skepsis erkennen würde. Elieser tat das nicht. Er war nicht dumm und nicht naiv, aber er war ein Gläubiger. Für ihn bedeutete die Geschichte alles. Für sie – gar nichts.

Und am Ende. Er gewann, aber erst, nachdem sich das Mädchen selbst auf die Seite seiner Interpretation der Ereignisse geschlagen hatte.

Herzliche Grüße und Schabbat Schalom

Rabbiner Chaim Michael Biberfeld